NZZ: Im Sog des Raumklangs

Neue Zürcher Zeitung, 18. März 2003

Im Sog des Raumklangs

«Das Beben» von Awet Terterjan in München uraufgeführt

………. «Das Beben» von Awet Terterjan ist ein Werk der langen Dauern und der breit dahinfliessenden Zeit. Aus ihr entfaltet sich ein subtiler Raumklang, in dem Nähe und Ferne magisch verschmelzen und der Darsteller, Musiker und Publikum zu einer Art kultischer Gemeinschaft vereint.

……… Der elementaren, extrem verknappten Sprache des Librettos entspricht die vokale Gestik. Bei den Solisten ist sie auf eine formelhafte, syllabische Melodik reduziert, in deren kunstvoller Einfachheit Einflüsse der armenischen Musiktradition anklingen. In den gross besetzten, von Hans- Joachim Willrich und Christian Jeub hervorragend einstudierten Chören erstarrt diese Gestik immer wieder zur rituellen Wiederholung von Vokalisen. Die organische Einheit von Sprache und Musik hat für sich schon eine suggestive Wirkung. Doch die eigentliche Sensation dieser Aufführung ist der Raumklang. Der Zuschauer fühlt sich in ihn regelrecht hineingesogen.

Terterjans Idee, Chöre und Musiker im Zuschauerraum zu verteilen, wurde vom Regisseur Claus Guth und von seinem Bühnenbildner Christian Schmidt konsequent umgesetzt. Die Bühne ist zur Zuschauertribüne umgebaut, das Parkett wird zur Spielfläche, wo sich auf vier kreuzweise angeordneten Podien die Handlung abspielt. Darum herum sind Orchester und Chor aufgebaut, einzelne Chorgruppen sind auf die Ränge unter das Publikum gemischt. ………

……… Mehr Verständnis für das orientalische Zeitempfinden Terterjans zeigte der Dirigent Ekkehard Klemm, der die riesigen Bögen mit unerschütterlicher Ruhe durchhielt und massgeblich zum Erfolg der Uraufführung beitrug. Lang anhaltender Applaus für alle Ausführenden und für den toten Komponisten, dessen Partitur Klemm demonstrativ mit einem Blumenstrauss aufs Bühnenpodest legte.

Max Nyffeler