Tatjana Jakob: Spiritualität der Klänge

published in the german magazine  Wostok


Die Musik, mythologisch als Geschenk der Musen an die Menschheit gedeutet, ist ein hochentwickeltes und vielfältig gegliedertes Genre der künstlerischen Lebensäußerung. Musik verfügt über gewaltige Kraft und bestimmt häufig das Schicksal der Menschen, was beispielsweise Tolstois Erzählung “Kreuzersonate” oder Gorkis Essay “Die Stadt des gelben Dämons” beweisen. Musik stellt Leidenschaft dar – und läßt sie uns miterleben.

Die klassische Musik des Kaukasus ist in der Hinsicht besonders, daß sie uns zudem ihre tiefe Verbundenheit mit der Volkstradition beweist. Der armenische Komponist Avet Tertarjan hat sich darüber einmal wie folgt geäußert: “Ich glaube, daß es keine Musik gibt, die keine Nationalität besitzt. Genauso wenig wie es Künstler gibt, die nicht einem bestimmten Volk angehören.” Beim Hören seiner dritten und fünften Sinfonie ist man völlig überrascht – anstelle eines bestimmenden Themas erklingt ein einzelner, fesselnder Ton, was originell und ungewöhnlich erscheint. Tertarjan verwendet dabei sowohl traditionelle als auch volkstümliche Instrumente.

Der Komponist Gia Kancheli aus Georgien stimmt Tertarjan zu: “Der mysteriöse Geist, der in den Traditionen der georgischen Volksmusik lebt, ist vielleicht derjenige, der mir am nächsten ist.” Seine erste und zweite Sinfonie, tief und vielfarbig, zeigen die ewige Suche des Komponisten nach der reinen und durchdachten Lyrik.

Vachtang Kachidze, ein Vertreter der jüngeren Generation der georgischen Komponisten, strebt in seinen Werken stärker nach allgemeinen Werten: “Menschen verschiedener Nationalitäten und Glaubensrichtungen beten in unterschiedlichen Kirchen, in verschiedenen Sprachen… dabei erbitten wir alle das gleiche von unserem Gott: Vergeben, Gnade und Rat.” Das Adagio aus dem Ballett “Amazonen” und das “Halleluja” für Cello, Gesang und Orgel zeigen seine Vorliebe für starke Kontraste. Kachidze verbindet dramatische Höhepunkte mit starken Emotionen und sanfter Lyrik.

Die Werke all dieser Komponisten bringt das Tbilissi Symphony Orchestra unter der Leitung von Jansug Kachidze, der als Gastdirigent bereits die meisten bekannten europäischen Orchester dirigiert hat, zu Gehör. Das Orchester wurde 1993 von ehemaligen Mitgliedern des Staatlichen Georgischen Symphonieorchesters gegründet und hat höchsten internationalen Standard erlangt.

Ein besonderes Kapitel bildet der Gesang der Georgierin Nani Bregwadze. Sie erweckt die Kunst der russischen Romanze in ihrer klassischen Interpretation zu neuem Leben. Die präsentierte Einspielung versammelt klassische und zeitgenössische Liedwerke. Nino Sakvarelidze und Nadeschda Wassiljewa haben das Talent der Sängerin sehr treffend beschrieben: “Sie empfindet jedes einzelne Wort nach und schenkt ihm einen besonderen Ton, so daß Text und Musik zusammen ein neues Leben beginnen. Ihre ausgezeichnete Intuition, ihr natürliches künstlerisches Flair machen ihre Kunst einzigartig.” Man kann viel über die Kunst, das menschliche Gefühls- und Seelenleben durch Töne auszudrücken, schreiben. Besser ist aber, sich selbst davon zu überzeugen.


Avet Tertaryan Symphonie No 3 & No. 5,
Mazur Media, CD mit Text, Euro 16,85

Nani Bregwadze, Russian Love, Romance & Destiny,
Mazur Media,
CD mit Text, Euro 16,85


This text was published in the magazine  WOSTOK, #. 2 / 2002, page 81

published at terterian.org with the kind permission of the editor